Mit Fantasie

durchs Leben

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16. Juni 2025


ADHS bei Frauen.
Bevor ich auf den Morgenspaziergang starte, gucke ich in «Aktuelles» von WhatsApp. Eine Bekannte bewirbt drei Daten von Treffen für Frauen mit ADHS mit einem ansprechenden Satz: «Präsenz ist mein Ritalin und echtes Miteinander ist Balsam für die Seele.» Das erste Datum ist Heute – wau! Im Geist strukturiere ich den Tagesablauf, wo schon zwei Termine angesagt sind. Ja, da möchte ich hin und zeitlich könnte das klappen, obwohl eine Fahrt über eine Stunde dauert. Über die SBB-App speichere ich die Strecke und kaufe den 9-Uhr-Pass, bevor ich es mir doch noch anders überlege.
Wie geplant kehre ich um halb 12 vom Morgentermin zurück, doch ich vergesse ausgerechnet mein Handy im Auto meiner Schwester. Darauf befindet sich der Streckenplan, die Adresse und das Billett – unverzichtbar! Zum Glück besitze ich seit wenigen Jahren ein Retrotelefon, welches nicht nur kuhl aussieht. Als ich das Adressbüchlein aufschlage, fehlt genau ihre Nummer, was für ein unangenehmer Zufall. Da fällt mir ein, dass ich sie als Notfallkontakt auf der ersten Seite für persönliche Daten meiner Agenda eingetragen habe. Ich halte den grossen Hörer an mein Ohr und lausche den Tastengeräuschen der Nummern, die ich auf dem Gehäuse am anderen Ende des geringelten Kabels eindrücke. Überrascht vom grellen, kurzen Piep, das laut in mein Ohr tönt, bevor der Wahlvorgang beginnt, erinnere ich mich zu spät, dass es angenehmer wäre den Hörer zu diesem Zeitpunkt kurz vom Ohr zu nehmen. Es klappert leise wie ein zufriedenes Zahnrädchen, das sich auf die Suche nach der Zielnummer macht und dann läutet es einmal. Leise und gedämpft die Stimme meiner Schwester, eingehüllt von Rauschen. Das Handy! Sagen wir gleichzeitig in verschiedenen Sätzen, bis mir klar wird, dass sie alle vier Kinder eingesammelt hatte, um es mir zurückzubringen. Gerührt und voller Dankbarkeit, leine ich Listo an und treffe zeitgleich mit ihrem Auto beim Parkplatz ein. Eine wundervolle Schwester habe ich!
Zwanzig Minuten später warte ich sattgegessen auf den Zug, bis es mir dämmert, dass mich der Bus in einem ersten Streckenabschnitt nach Rüti fahren wird. Beim Einsteigen denke ich mir, dass ich meiner Diagnose mit meinen Aktionen Ehre erweise.
Angenehme acht Minuten vor dem Start bin ich beim Gemeinschaftshaus und sehe mich gwundrig um. Es gibt keine Hinweise zum Austragungsort, keine offene Tür, wo sich dahinter die Initiantin befindet. Vier Menschen im Garten, keine davon ist sie – jemand auf der Toilette. Ich warte nervös vor der Haupttür, fühle mich unsicher. Als eine Person vorübergeht, frage ich nach der Gesuchten – keine Ahnung. Obwohl in diesem Moment die Anfangszeit des Treffens ist, gehe ich auf die Toilette, da sie nun wieder frei ist. Sich genau jetzt verpassen wäre ein Klassiker! Aber auch danach scheint sich nichts in diese Richtung geregt zu haben, also setze ich mich nochmals auf die niedere Mauer gegenüber der Tür. Fünf Minuten sollte ich ihr geben und nicht gleich ungeduldig werden. Dann probiere ich es doch auf ihrem Handy, könnte ja sein, dass ich falsch bin. Als ich den unangenommenen Anruf beende und nochmals tief durchatme, taucht sie mit dem Velo am Gartenzaun auf. Ich bin erleichtert und sie meint, dass sie dem Thema Ehre erweist.
Wir richten uns im Garten ein und sind für die erste Stunde für uns allein. Im intimen Austausch berichten wir von unseren Erfahrungen und verstehen uns auf Anhieb. Es ist heilsam sich verstanden zu fühlen und ein Gegenüber zu haben, das ähnliches wahrnimmt und erlebt.
Ein Nachmittag voller Präsenz und echtem Miteinander.


9. Juni 2025


Abenteuerlustig.

Seit einem Monat und einer Woche fahre ich mit Caravelle herum. Der VW-Bus T4 kam unerwartet schnell in mein Leben. Liebevoll ausgebaut und als Wohnwagen eingelöst, suchte er ein neues Zuhause, als ich meinen klar formulierten Wunsch nach ihm via Whats-App aussendete. Pünktlich zu Beginn meiner Auszeit im Mai, holte ich ihn im Glarnerland ab. Nach wichtigen Informationen und Instruktionen, als mir die Fragen ausgingen und ich mir in meiner Nervosität vor der ersten Fahrt einen Ruck gab, fuhr ich los. Fast augenblicklich erfasste mich ein Glücksgefühl, es breitete sich gleichzeitig eine tiefe Zufriedenheit und eine unbändige Freude in mir aus, die mir sogleich Tränen der Rührung in die Augen trieb. Eine lange Sehnsucht nach Unabhängigkeit scheint sich im Fahren dieses Buses zu stillen. Ein Wagen mit Jahrgang 1992 fährt sich gemächlicher und der laute Dieselmotor, lässt das Innere leicht erzittern. Eindeutig hilfreich um noch mehr Geschmeidigkeit und Selbstsicherheit in mein Leben zu lassen. Für die Handbremse muss ich weit nach unten greifen, dafür hält sie einwandfrei. Die Gangschaltung ist sogar geschmeidiger als bei meinem Skoda Fabian (ja, das «n» kam für meinen Freund dazu). Ich entschied mich für eine Wechselnummer.
Zusammen mit meinem Hund Listo fuhr ich in einen Abend hinein, über den San Bernardino und lebte den Traum von Freiheit, der mein Selbstbewusstsein stärkte. Ich fühlte mich richtig angekommen und liess dem Grinsen in meinem Gesicht freien Lauf. Der T4 schaffte die kurvenreiche Strecke mit den vielen Höhenmetern prima. Im ersten Teil meiner Auszeit verweilte ich im Tessin, wo ich mich mit Hingabe um das Businnere kümmerte. Alles wurde ausgeräumt, gewaschen, neu sortiert, ausgemistet, gebügelt, geflickt und wieder sorgfältig eingeräumt. Schwanger mit der Frage, wie ich mein Büsli nennen möchte, fiel mir während der grossen Waschaktion plötzlich der Name am Heck auf: Caravelle.
Ein paar Tage war ich zu Hause und machte mit meinem Freund und Hund einen Miniurlaub an der Linth mit Picknick, spazieren, spielen im Businnern und auf dem ausgezogenen Bett schlafen. Die Romantikerin in mir war vollkommen zufrieden.
Danach ging es ins Maiensäss oberhalb Fideris. Die Spezialbewilligung für die Heubergstrasse noch schnell am Seitenfenster befestigt, tuckerte ich gemütlich den Berg hinauf. Auf der stark abfallenden Strecke fuhr Caravelle im ersten Gang von allein, ohne dass ich bremsen musste. Ich weiss von moderneren Autos, wo dafür extra ein untersetzten Gang zur Verfügung steht. Für auf dem engen Wendeplatz oberhalb des Stalles, hatte ich bereits ein gutes Gefühl für die Grösse meines Wohnwagens entwickelt und war in wenigen Zügen erfolgreich. Als ich das Haus einigermassen warm geheizt hatte mit dem Feuer im Ofen und im Cheminée, wagte ich es, nach einem etwas sonnigeren Tag, in der Caravelle meinen Schlafplatz einzurichten. Mit einer alten, gusseisernen Bettflasche, die ich jede Nacht bei mir hatte, kroch ich in zwei Schlafsäcke und versuchte mit Listo an meiner Seite einzuschlafen. Es war kalt und ich verschob die Wärmeflasche vom oberen Teil zu den Füssen und wieder hinauf. Ich drehte mich in der unruhigen Nacht oft, hörte den Regen auf das Dach plätschern und am zu frühen Morgen würgte dann auch noch mein Hund und ich liess ihn hinaus, falls er sich übergeben wollte. Er verschwand in der Dunkelheit, ich hörte ihn Gras fressen und merkte gleichzeitig meine Blase drücken. Also wechselte ich in das wärmere Haus zurück und schlief dort zusammen mit Listo wohlig eingekuschelt vor dem abgekühlten Cheminée noch erholsame Stunden. Caravelle kam während der Maiensässzeit nur noch für einen Einkauf im Dorf zum Einsatz. Als sich uns auf der Heimreise der Auffahrtsverkehr entgegenquetschte und wir geschmeidig auf der locker besetzten Gegenbahn dahinglitten, konnte ich mir ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen.
Manchmal tönt es laut, es rumpelt oder ich höre, dass ich beim Gepäck noch etwas optimaler verstauen könnte. Doch als ich gestern auf der Heimreise von meinem Mami im Unterland dahinbrause und noch denke, dass ich mit einem alten Auto auch Glück haben muss, weil man ja nie weiss…da kracht ein helles Geräusch, das mich aufschrecken lässt. Als ob etwas Hartes von Sitz neben mir in das Seitenfach gefallen wäre. Da guckt auch mein Hund hin, doch es war vorher nichts da, was hätte herunterfallen können. Mein Verstand arbeitet und da entdecke ich das rote Licht beim Batteriesymbol und mir wird flau. Die nächste Tankstelle ist mehrere Minuten entfernt, ich weiss nicht, ob das reicht. Obwohl es nichts bringt, fahre ich mit angespannten Muskeln und flachem Atem weiter. Als ich bei der nächsten, günstigen Gelegenheit anhalte, lasse ich vorerst den Motor laufen, da ich von der Batterie weiss, dass sie über den Motor aufgeladen wird. Es wird mir jedoch zu laut, ich werde nervös und schalte ihn doch ab, als ich in die Betriebsanleitung gucke. Das könnte der Keilriemen sein. Ich öffne die Haube und da sehe ich ihn, völlig zerfleddert. Mir fällt ein, dass sich von den Vorgängern noch ein neuer Keilriemen in der Buszubehör-Kiste befindet. Vielleicht ist das ja gar nicht so eine Hexerei, ihn selbst oder mit Hilfe vor Ort, einzusetzen. Mein Mami hat mir schon öfters mit Stolz erzählt, als sie früher bei ihrem alten Mini den Keilriemen selbst mit einem Nylonstrumpf ersetzte. Ich schaue auf und spreche den ersten Typen an, der mir begegnet. Direkt gratuliert er mir, offen und freudig, zu meinem Glück, dass ich ihn als erfahrenen Mechaniker angesprochen habe. Gezielt greift er ins Innere und entfernt die Überreste des langen Gummiriemens. Als er mir sofort dies und jenes erklärt, schmunzle ich innerlich über die typisch patriarchalische Rollenverteilung. Ich gebe sogar offen zu, dass ich selbst nicht weiterkomme und froh bin, wenn er Rat weiss. Ein Kollege kommt herbei und pflichtet bei, dass es sich um etwas aufwändigeres handelt, da der Zugriff von unten durch eine Abdeckwanne versperrt ist. Es trifft sich jedoch gut, meint der erste Typ, der mir seine Hand mit dem verstümmelten Finger hinstreckt und seinen Namen sagt. Er habe in der gegenüberliegenden Siedlung eine kleine Werkstatt, wo er sich unter mein Auto legen kann und die Arbeit in gut einer Stunde erledigen würde – ob ich Zeit hätte. Ausser irgendwann nach Hause zu kommen, habe ich keine weiteren Pläne, also willige ich ein. Obwohl er sagte, dass ich sicher noch bis hinter den Häuserkomplex zum besagten Ort fahren kann, bin ich erstaunt, dass meine Caravelle sofort anspringt. Er will mit seinem Trottinett und ein paar Utensilien nachkommen. Die verlassene Einbahnstrasse mit den vielen Autoleichen wirkt gruselig, bringt mich aber nicht aus der Ruhe. Im Gegenteil muss ich lachen, weil das eher typisch ist, dass ich mich aus Gwunder auf Dinge einlasse, die meine Vernunft ohnmächtig zurücklässt. Ich sitze im Wagen, auf dem Sitz neben mir Listo mit seiner heraushängenden Zunge. Mein Lieblingsbild zurzeit. Seit der teilweisen Entfernung seines Unterkiefers, wegen eines Krebstumors letzten Sommer, ist dies sein entspannter Ausdruck. Ich fühle mich locker und bin gespannt, was kommen mag. Nach ein paar Minuten sehe ich ihn ihm Rückspielgel gross beladen und mühsam vorwärtskommend und habe nicht das Bedürfnis ihm zur Hilfe zu eilen. Er wirkt chaotisch, aber sehr entschieden. Mit seiner Anweisung bewege ich die Vorderräder auf zwei lange, quadratische Holzlatten und er legt sich sprechend darunter. Offen und ehrlich erzählt er mir sein schwieriges Leben, redet über seinen Unfall mit den Fingern und dem Verlust seines Auges, wie er alles verlor und von der Suizidalität, die ihn begleitet. Ich merke, wie sich soeben unsere Rollen von Opfer und Helfer fiktiv tauschen und mag die Beobachterin in mir. Als er mich schickt, um hinter dem Haus ein paar Bachsteine zum Unterstellen der Wanne, zu suchen, kommen mir erste Zweifel zum Erfolg der Aktion. Die Abdeckung löst sich nur mit Widerstand und ist stakt verschmutzt. Er erzählt viel Fachmännisches und zeigt mir Dinge von unter meinem Auto, damit ich danach selbst Bescheid weiss. Noch schreckt mich nichts ab und meine Neugier lässt mich sogar noch dann weiter beobachten, als der Keilriemen nicht passt. Nun kommt Dynamik rein und ich merke, wie es in seinem Gehirn beginnt zu drehen. Seine Bewegungen sind plötzlich fahrig, die Sätze überschlagen sich und die skurrilsten Ideen brechen plötzlich aus ihm heraus. Eigentlich wäre dies der Zeitpunkt, um das Ganze abzubrechen, doch die Abenteurerin in mir möchte Aufregung und Neues erleben. Wie in einem Film begleite ich den Protagonisten hautnah. Auf der Suche nach einem passenden Keilriemen, durchwühlt er Schuppen und Keller von angeblichen Kollegen und ich halte ihm sogar die Haube, als er in eine herumstehende Autoleiche linst. Mein Verstand ist gelähmt und mein Freigeist begeistert von dieser skurrilen Szene. Als er jedoch meine Abdeckwanne in einen Keller hievt, seine Sachen in mein Büsli packt und ich mit ihm zu seinem Auto im Dorf fahre, erwacht mein Verstand langsam. Wir finden auch da in seinem Auto nicht den passenden Riemen und fahren noch in ein Nachbardorf, wo angeblich einige davon herumliegen. Es ist zwischenzeitlich dunkel und als mir ein Licht aufgeht, empfiehlt er mir das Abblendlicht zur Schonung der Batterie zu nutzen. Vor Ort verschwindet er hinter einer Blache und als ich ihm mit einer Solarlaterne aus meinem Inventar folge, lache ich laut auf ab der Absurdität, die dieser Abend erreicht hat. Ich sehe ihn gerade noch über eine mannshohe Lucke seiner gestapelten Dinge – er würde es nicht als Abfall bezeichnen – steigen, da rufe ich ihm zu, dass ich nun am kostenlosen Notruf meiner Versicherung anrufen werde. Eine herzerwärmende Stimme meldet sich zu Wort und ich schildere meine Lage. Sie mahnt mich zur Vorsicht, sagt, dass ich mich jederzeit wieder melden darf und die Rettungsleute gewöhnlich innerhalb einer halben Stunde am Ort wären, vor allem, wenn ich die von ihr geschickte Verarbeitungsnummer angebe. Ich fühle mich beruhigt und mein Verstand kommt mir zur Hilfe. Plötzlich erinnere ich mich an eine Stelle im Handbuch, wo zwei Szenarien aufgeführt sind. Ich blättere nach und lese, dass das Weiterfahren mit einem 4-Zylindermotor nicht mehr möglich ist, aber mit einem 5-Zylindermotor durchwegs noch zur nächsten VW-Garage gefahren werden kann, was die erlebte Odyssee bestätigt. Nun heisst es zurückpaddeln, denn ich habe plötzlich genug davon. Gestärkt und entschlossen verkünde ich, dass ich ihn nun nach Hause fahre. Ich musste wieder an meine Abdeckwanne kommen und sicherstellen, dass ich alle Schrauben habe, aber in seinem Geschwafel voller neuer Ideen, fällt mir das Nachdenken schwer. Ich werde allmählich ungeduldig und als beim Ausladen seiner Sachen die Schrauben nicht da sind bin ich nervös. Hecktisch durchsuche ich alles Mögliche, als ich nach ein paar Flüchen das Robidog-Säcklein, welches als Gefäss diente, in der Zubehörkiste finde. Er ist noch in seinem Film und möchte jetzt die Telefonnummern austauschen. In seiner Fantasie hilft er mir in den nächsten Tagen oder wir gehen spazieren mit Listo, den er nun in sein Herz geschlossen hatte, nur weil dieser geduldig, notgedrungen auf seinem Schoss sitzen musste. Klarheit ist nun gefragt. Ich schaue ihm in die Augen und sage, dass ich nun meine Wanne hole, zu meinem Garagisten gehe und ihm meine Nummer nicht gebe. Als Dankeschön für seine Arbeit drücke ich ihm fünfzig Franken in die Hand und verabschiede mich. Er nimmt es erstaunlich gelassen hin, nickt und sagt, dass das zu viel sei.
In der schummrigen Sackgasse brennt ausgerechnet im Haus, wo meine Wanne im Keller steht, das Licht. Entschlossen gehe ich rein, hieve das sperrige Teil die Treppe hoch und in den Fond meiner Caravelle. Geschafft. Kurz nach Mitternacht verlasse ich die Szene aus einer der ungewöhnlichsten Erfahrungen meines Lebens.


1. Mai 2025


Das Wetter ist gut.

Unter diesem Titel habe ich im Sommer 2021 an meine Ausstellung eingeladen. Ich spielte bewusst mit einer verallgemeinernden Aussage und setzte sie in einen neuen Kontext. Im Zentrum stand ein einziges Objekt: der Gummistiefel. Die Kunstformen, so vielfältig wie ein Regenbogen: Bilder, Fotografie, Videokunst, Objekt, Installation, Performance und interaktive Kunst. Passenderweise befand sich der Ausstellungsort in Regensdorf.
«Das Wetter ist schön» höre ich in letzter Zeit aus dem Radio und dabei sind Sonnenschein und warme Temperaturen gemeint. Findet eine Person in meinem Umfeld, dass es gerade wunderbar ist, in der Sonne zu liegen, finde ich das schön. Eine Pauschalisierung in den Medien dagegen, ist nervig. Begleitet von meinen Wallungen, bevorzuge ich im Moment kühlere Luft und meine weissen Flecken ertragen die Sonne schlecht. Ausserdem mag ich den Nebel und den Regen wirklich. Das Mystische und Ruhige, gemixt mit einem gleichmässigen Niederschlag, der die Natur aufzufrischen vermag. Es gibt praktische Bekleidung für draussen und ich mag es, wenn weniger Menschen unterwegs sind. Das Zurückkehren in ein warmes Zuhause löst bei mir ein wohliges Gefühl aus. Vielleicht begegne ich meinem Lieblingswetter diesen Mai im Maiensäss wieder. Da oben erwacht die Natur später aus dem Winterschlaf als hier unten.
Dieses Jahr habe ich überraschend ehrlich auf die Frage «was löst der Frühling in dir aus?» geantwortet. Mir ist diese Fülle zu viel, sie überfordert mich, dann wünsche ich mich nochmals zurück in den ruhigen Winter, wo ich mich einkuscheln kann. Ich erfreue mich an der Blütenpracht und sie erinnert mich an meine ersten eigenständigen Schritte in meinem Leben. Plötzlich war da eine immense Lebendigkeit, die mich schier kotzen liess vor Glück oder umhaute vor Üppigkeit. Für mich macht es Sinn, das Ganze ein wenig zu dosieren, mir meine Zeit zu lassen für den Wandel. Geduld haben, eben nicht nur mit anderen, sondern vor allem mit mir selbst.
Heute Morgen staunte ich über ein neues Blatt eines Baums. Sein Grün leuchtete frisch und als ich es berührte konnte ich den Saft in seiner zarten Beschaffenheit erahnen. Jung und weich im Frühling, wird es durch den Sommer robuster werden, dicker mit einer glatteren Oberfläche. Dann, im Herbst, zieht sich das Chlorophyll zurück und gibt die eigentliche Farbe frei. Ich fühle mich mit meinen gut vierzig Jahren noch jung, dennoch sehe ich mich in diesem Vergleich Richtung Herbst zielen. Mit den Wechseljahren kommen so viele neue Facetten in mein Leben, die mich immer mehr zu mir bringen. Ich muss weniger darstellen und gefallen, mute meinen Unmut eher zu und ziehe mich gleichzeitig lieber zurück. Eine innere Unruhe spüre ich dennoch. Als ich letzten Montag auf dem Balkon übernachtete und mitten in der Nacht erwachte, schaute ich in den Sternenhimmel. Wo ich auch hinsah, bewegten sich helle Punkte. Satelliten, Kometen, Weltraumschrott? Ich dachte an den «beruhigenden» Nachthimmel, den Blick in die Vergangenheit. Wenn ich meiner Auffassung vertraue, dass die Aussensicht ein Spiegel meines Inneren verkörpert, bin ich wohl reif für meine Auszeit. Ohne meine innere Ruhe, werden mich Geräusche noch mehr stören, die vielen Menschen, die im Frühling plötzlich, wie auf einmal auftauchen, das Leben, welches pocht und rennt, die Erde, die sich wild dreht und die Zeit, die mir zu entgleiten droht – ich brauche eine Pause.
Das trifft sich gut, denn nun ist Mai.
Bis bald…



19. April 2025


Willkommen in Wald.
Vor ein paar Wochen schon wollte ich mich über den Begriff «Pappenheimer» informieren. «Nachschlagen» fände ich eleganter, aber es ist aus der Mode gekommen, weil viele im Internet gucken und nicht mehr in Büchern. Ist auch viel zeitsparender. Mit der Frage «Zeit sparen für was?» würde ich zu sehr abdriften.
Der Begriff «Pappenheimer» hat verschiedene Bedeutungen. Ich verwendete ihn für eine bestimmte Personengruppe, die für gewisse Aktivitäten bekannt ist, die ich kennenlernen durfte. Dabei handelt es sich eher um unangenehmere Situationen. Mich freut jedoch zu lesen, dass die Pappenheimer in der Geschichte als besonders tapfere Gefolgsleute bekannt waren.
Heute Morgen wollte ich kurzfristig eine neue Ausgabe von der Zeitschrift «Psychologie Heute» erwerben und klapperte dabei die Orte ab, wo ich sie am ehesten vermutete: Kiosk Bahnhof, Coop und Kiosk vor der Migros. An der letzten Station empfiehlt mir der Verkäufer beim Migrolino nachzusehen. Schnellen Schrittes steuere ich also den Tankstellenshop an und frage die bodenwischende Frau, ob sie «Psychologie Heute» verkaufe. Ein grosses Fragezeichen in der Luft und ich füge an, dass es sich um eine Zeitschrift handelt. Die verkaufen sie nicht, sagt sie, und ich bedanke mich. Als ich mich schon umdrehe, bemerkt sie lachend, sie dachte Psychologie! Wie sie das meint, frage ich. Als ich merke, dass sie doch lieber nichts mehr sagen möchte, füge ich augenzwinkernd hinzu, dass ich für einen Psychiater schon nicht an diesem Ort nachfragen würde. Wer hat was, wie gedacht und angenommen? Leicht irritiert verlasse ich die ungewöhnliche Situation. Ich finde es schade, dass es in Wald scheinbar keine Lektüre zum Thema Psychologie gibt, die erworben werden kann.
Nach einem Spaziergang sitze ich im Bus zurück nach Wald, als zwei Pappenheimer vorne einsteigen. Einer reicht dem Chauffeur einen Schoggi-Osterhasen. Dieser möchte ihn zuerst nicht annehmen, aber er gehorcht und weicht somit einer Diskussion aus, wie ich vermute. Die Gesprächigkeit des neuen Fahrgastes lässt Alkoholkonsum vermuten. Bei der nächsten Haltestelle stehen zwei mit dunkler Hautfarbe und derselbe ruft: Die haben dann kein Billett – ganz sicher! Alkohol macht auch übertrieben ehrlich und frech. Der Fahrer begrüsst an einer weiteren Bushaltestelle die neuen Gäste und wird sogleich laut nachgeäfft. In mir drin ein Augenrollen und Grinsen zugleich, weil mich aussergewöhnliche Situationen amüsieren. Der aufkeimende Hunger lässt mich dann an der frischen Luft aufatmen und zielstrebigen Schrittes in die Bahnhofstrasse gleiten. Darauf bedacht den Augenkontakt mit dem nächsten Pappenheimer zu vermeiden, der notorisch nach Geld fragt, obwohl ich ihm schon ebenso viele Absagen gab. Er hat nicht unrecht, denn bei mir weiss man nie – nicht mal ich selbst. Unbeständigkeit ist bei mir Gewohnheit, die Unberechenbarkeit erfrischend und gleichzeitig anstrengend. Vielleicht wäre ich manchmal gerne selbst ein Pappenheimer: tapfer einer Gewohnheit oder einer Gruppe folgen und nicht das Opfer von Chaos und Willkür sein.
Wundervoll, dass Wald so viel Raum für unterschiedliche Menschen hat. Ich finde diesen Ort belebend. Die richtige Mischung von Herausforderung und Geborgenheit. Schade finde ich jedoch, dass Geschäfte, die Kreativität und Handarbeit unterstützen, mittlerweile fast vollständig durch Konsumwarengeschäfte ersetzt wurden.
Wie wär’s mit einem neuen Laden für Persönlichkeitsentwicklung mit Zeitschriften wie «Psychologie Heute»?



16. April 2025


Verbundenheit
Im Erzählcafé in Wald machte meine Themen-Idee für das nächste Treffen das Rennen. Als Hobby-Philosophin freue mich auf das vielschichtige und offene Thema Verbundenheit im Juni.
Ich beobachte mich, mein Umfeld, Situationen und Stationen dazu in meinem Leben.
Gestern begegnete ich einer Hundehalterin und nach kurzer Zeit berichtete ich offenherzig, wieso ich mich mehr mit mir verbunden fühle. Durch meine wechseljahrbedingte Lustlosigkeit, wurden gefühlte 80% meiner Hirnkapazität frei, die vorher mit dem Thema Sex gefüllt waren. So genau wollte sie es nicht wissen, scherzte sie. Und weil in jedem Scherz ein Funken Wahrheit steckt, merkte ich, wie ich mit meiner unverblümten Offenheit unsere Verbindung gefährdete.
Mein Verstand hat eine andere Vorstellung von Verbindung als mein Herz. Dazu hatte ich eine weitere interessante Begegnung, auf einer intellektuellen Ebene. Kommunikation allein reicht nicht aus für eine tiefe Verbindung, wenn mein Herz dazu nicht offen ist. Ich habe mich auf ein Wortduell per E-Mail mit einer Kollegin eingelassen. Irgendwie trieb es dann aber mein Verstand - und sehr wahrscheinlich auch ein grosser Teil meines Egos - auf die Spitze. Ich fühlte mich so richtig herausgefordert und fand mich vor Aufregung in einem Gefecht wieder, das sich, aus meiner subjektiven Sicht, von einer achtsamen Kommunikation entfernt hat. Jedenfalls blieb das letzte Mal die Antwort aus und gleichzeitig freute sich ein Teil in mir drin unbändig und fühlte sich lebendig. Oftmals bedeutet Verbundenheit mit mir, mich physisch von meinen Mitmenschen zu trennen. Was sich paradox anhört, ist für mich zur Erkenntnis geworden. Ich weiss von mir, dass Personen manchmal eine so starke Resonanz in mir auslösen, dass es schwierig ist, meinem Muster des Dienen-wollens zu widerstehen. Weil es ein Muster ist und das Wollen zum Zwang und somit zum Müssen wird, übergehe ich oft meine Grenzen. Mir hilft die Frage: Will ich es für mich oder möchte ich einem anderen Menschen gefallen? Die verwirrende Mischung davon ist: Will ich diesen Gefallen machen?
Mein Beobachtermodus hilft mir auf dem Weg zur Verbundenheit mit mir, weil ich Muster dann besser erkenne. Ich mag es, in auffälligen Situationen, wo ich mich neben mir fühle, dies laut auszusprechen. Es kommt der Nachbar mit seinem Schäferhund und ich sage zu mir: Ja Manu, jetzt nimmsch än andere Weg und schnuufsch wiiter.
Mein Verstand ist mir manchmal im Weg und gleichzeitig ist er ein Schlüssel, der mir beim Analysieren und Umsetzen hilft. Da ist es wieder – das Wort «Gleichzeitig». Es passt oft besser als die Begriffe «trotzdem» oder «deswegen», die wertend gemeint sind und weniger Verbundenheit beinhalten. Ich übe mich zurzeit im wertfreien denken, sprechen und schreiben, was nicht einfach ist, wo so vieles noch bewertet wird und ich dementsprechend erzogen wurde. «Man wertet schnell» muss ich im Moment noch sagen. Ich habe mich mit dem «man» auseinandergesetzt. Mehrere Jahre versuchte ich ihn zu bekämpfen, aus meinem Vokabular zu eliminieren. «Wer ist «man»? Den kenne ich nicht», pflegte ich zu sagen und achtete darauf meine Sätze in der Ich-Perspektive zu formulieren. Bei all dieser Abwehr fragte ich mich letztens, was es auf sich hat, und näherte mich diesem «man» wieder vorsichtig. Ich kam zu dem Schluss, dass der «man» variabel ist, persönlich, sehr individuell. Es ist die Mehrheit der Menschen in deiner Welt, die damit gemeint sind. Mein «man» hat sich nämlich stark verändert. Wo man sich früher anpassen sollte, wird heute die Individualität gefeiert. Wo man früher gehorcht hat, findet man heute in ein neues Bewusstsein. Es gibt Sätze, die fallen mir leicht zu schreiben, bei anderen braucht es mehr Überwindung, weil ich noch nicht ganz mit ihnen verbunden bin, es mir aber sehr wünsche, zum Beispiel:
Wo man früher um sein Überleben kämpfte, fühlt man sich heute verbundener.
Ich fühlte mich mit meinem Denken, Sprechen und Handeln lange allein. Als ich mit 17 Jahren im Keller meiner Schlummermutter ein altes Trottinett fand, ging ich anfangs damit nur in der Dämmerung raus, weil das so etwas von out war…



9. April 2025


Leben und leben lassen.
Mein ehemaliger Ehemann mochte diesen Spruch. Letztens hörte ich ihn wieder und etwas daran regte mich auf.
Mein Zweifel gilt der Ehrlichkeit. «Leben und leben lassen» - schön und gut. Eine Küchenweisheit, ein Spruch der auf dem Kalender in der Küche steht. Ein Teespruch, wie man ihn auf den Yogi-Tee-Beutel-Zettel findet. Es geht um Selbstbestimmtheit und Akzeptanz, nur bringt die Theorie ohne die Praxis wenig. Ich möchte selbstbestimmt leben, inwiefern ist das in einer zivilisierten Gesellschaft überhaupt möglich? Akzeptiere ich einen anderen Menschen, wenn ich seinen Spruch in Frage stelle und seine Taten mich aufregen?
Vielleicht ist es auch diese Banalität oder Einfachheit. Zu wenig Aufregung für meinen Geschmack. Es verbindet mich so gar nicht mit meiner Art und Weise mich ins Leben zu stürzen und die volle Dosis auszukosten. Leben – ein Wort. Und ich mache so viel Aufstand darum, nur weil ich denke, dass das, was ich da erlebe, nicht mit einem simplen Wort beschrieben werden kann. Pech. So ist es. Jeder Mensch hat seine eigene Vorstellung von Leben und lebt anders.
Leben lassen. Wenn wir alle miteinander verbunden sind, existieren wir nicht nur für uns, wir beeinflussen einander natürlicherweise. Erlebnisse, Erfahrungen, sowie Begegnungen werden bewusst oder unbewusst integriert. Ja, mir fehlt bei diesem Teil die Interaktion, das Zusammenspiel, der Tanz oder die Vereinigung…
Auf der Spur nach dem, was der Spruch in mir auslöst, bin ich heute morgen auf einen neuen Aspekt gestossen. Es ist der zweite Teil, das «leben lassen». Es hat die Energie von Ruhe und Gelassenheit, die mich triggert, weil sie mir fehlt. Zwei Teile, die ein «sowohl-als-auch» ansprechen. «Leben» als den aktiv von mir gestalteten Raum zwischen Geburt und Tod, und «leben lassen» als das, was passiert, wenn ich ohne äusseren und inneren Impulse in mir zur Ruhe komme. Das, was mein Körper macht, wenn ich nichts Aktives tue – dann lasse ich leben. Es atmet, mein Herz klopft, die Zellen erneuern sich, sterben ab und was sonst noch ohne mein volles Bewusstsein passiert, wenn ich in einem meditativen Zustand bin. Diese Ruhe möchte ich vermehrt integrieren, um mehr Frieden zu finden. Frieden schliessen mit meinem inneren Frieden, um den äusseren Frieden zu stärken. Schön und gut. Weniger Krieg mit dem Frieden. Ich arbeite daran.
Da! Der nächste Impuls. Was löst der Spruch in dir aus? Und wie wär’s mit: «Sterben und sterben lassen»?



3. April 2025


Schmuckeremitin!
Ich war an der Ausstellung «Arbeit: Vom Wollen, Dürfen und Müssen» im Vögele Kultur Zentrum. Da begegnete ich unter anderem einer Vielzahl von ausgestorbenen Berufen, wie zum Beispiel dem Schmuckeremiten, der zwischen 1750 und 1830 in Mode war. Adlige in Grossbritannien und Europa fanden die Lebensweise dieser Menschen, welche zurückgezogen über die Welt nachdenken, so edel, dass sie sie bei sich in den Landschaftsgärten anstellten. Da sollten sich die sogenannten Schmuckeremiten oder Ziereremiten zu bestimmten Tageszeiten sehen lassen, um die Eigentümer und deren Gäste mit ihrem Anblick zu unterhalten. Sie hatten meist ein langzeitiges (manchmal sogar mehrjähriges) Anstellungsverhältnis und lebten in eigens dafür erbauten spartanischen Unterkünften, sogenannten Ermitagen. Als typische Accessoires lagen da Brille, Bibel und ein Stundenglas als Zeitmesser. Um Vorstellungen eines authentischen Einsiedlers gerecht zu werden, sollten sie lange Haare und Fingernägel haben und schon etwas älter sein.
Meine Haare habe ich aus praktischen Gründen erst abrasiert und ich fühle mich mit meinen rund vierzig Jahren noch jung, ausserdem bin ich als Frau wohl auch (noch) nicht die typische Wahl für so einen Job. Dennoch reizt es mich ausserordentlich, diesen ausgestorbenen Beruf frisch zu beleben und eine moderne Note beizumischen. So sehe ich mich als moderne Schmuckeremitin in Botanischen Gärten in Flipflops und einem langen Kleid durch die Landschaft spazieren oder mit meinem Notiz- und Skizzenbuch zwischen Blumen und Bäumen sitzen. Ich bringe mehrjährige Erfahrung als Aktmodell mit, bin Performance-Künstlerin und Hobby-Philosophin.
Du bist im Management eines Botanischen Gartens und möchtest mit einer frischen Marketing-Idee dein Unternehmen aufpeppen?
Du arbeitest als Journalist und suchst ausgefallene Stories?
Du findest meine Idee hat Unterhaltungspotential und möchtest sie in irgendeiner Weise unterstützen?
Dann melde dich bei mir - ich freue mich darauf!
(P.S.: 1. April war vorgestern. Ich meine mein Angebot ernst.)



23. März 2025


Ist das dein Hund?
Ich spaziere gemütlich mit Listo daher, weil ich mich heute angeschlagen fühle. Nach Wochen voller Energie, war ich mittlerweile gespannt, wie lange das anhalten kann. Ein leichtes Kratzen im Hals versetzt mich in Alarmbereitschaft.
Es ist Nachmittag, ich habe bereits den zweiten Liter Salbeitee gekocht und mich für einen kurzen Schlaf hingelegt. Dann meldete sich der Hunger von meinem Hund und ich schloss den Spaziergang an.
Mein Blick fällt auf ein junges Paar mit Hund, welches den Weg unter mir kreuzt. Ihr grosser schwarzer Begleiter macht einen Haufen und sie stehen regungslos da, was meinen Gwunder weckt. Leider bestätigt sich meine Befürchtung und sie gehen nach dem Geschäft ihres Vierbeiners unbekümmert ihres Weges. Ich finde das dreist und überlege, was ich tun möchte. Den Kot packe ich in einen Beutel und folge ihnen mal. An der Kreuzung zu einer Tankstelle, glaube ich sie verloren zu haben. Als jedoch auf der anderen Strassenseite mein Blick hinter die geparkten Autos fällt, sitzt sie da und lenkt den Hund mit Leckerli ab, als sie mich mit Listo kommen sieht.
In freundlichem Ton frage ich, ob das ihr Hund sei. Nein, der gehört ihm, sagt sie und deutet hinter mich. Ihr Freund nähert sich lächelnd und ich verkünde, dass der Beutelinhalt in meiner Hand zu seinem Hund dazu gehört und füge, bemüht ruhig hinzu, dass es einfach sei ein solchen Säcklein zu entsorgen. Mit einer schwungvollen Bewegung gelingt mir einen Meisterwurf in den Abfalleimer neben uns. Er habe die Säcke zu Hause vergessen, lächelt er und entschuldigt sich. Zielsicher greife ich in meine Jackentasche und reiche ihm einen frischen Kotbeutel: Für alle Fälle, zwinkere ich ihm zu und verabschiede mich.
Sichtlich aufgeregt spüre ich neue Lebensenergie in mir aufkommen. Da habe ich doch tatsächlich eine Idee umgehend in die Tat umgesetzt – ich fühle Stolz, Erleichterung und gleichzeitig grosses Herzklopfen. Was für eine tolle Gelegenheit das war, um etwas Neues auszuprobieren und für meine Werte einzustehen! Ausserdem ist mit meiner Beschwingtheit das Kranksein für einen Moment wie weggeblasen. Macht auch Sinn. Wenn ich gut auf meine Bedürfnisse und Grenzen schaue, dann kann ich meine Energie auch optimal regulieren. Es war ein intensives «Leben» im Heimatmuseum Wald ZH, was mich seit Wochen auf Trab hält und mir einen Haufen neue Ideen bescherte. Diese fühlen sich in meinem Verstand im Wartemodus nicht ausserordentlich gewinnbringend an in ihrer Vielzahl. Vielmehr merke ich, dass die Zeit für Ordnung und Struktur bereit ist.
Nichtsdestotrotz muss ich für mein Gemüt unmittelbar den Impulsen nachgehen, die mich wachhalten. Besonders wenn es um Schreibimpulse mitten in der Nacht geht.



9. Januar 2025


Das Leben ruft.


Vorgestern, eine bekannte Szene: Eine Person merkt, dass ich zuhöre und lässt dann in ihrem Monolog keine Pause mehr für Einwände zu. Meine Anstalten, mich aus dem flüchtigen Kontakt zu lösen, versanden zwischen ihren Worten. Weil ich Menschen sehr mag, finde ich solche Situationen besonders knifflig. Eine kleine Atempause mit den passenden Worten zu nutzen, klar und gekonnt im richtigen Moment dazwischen grätschen oder mich sukzessive zu entfernen. Theoretisch möglich und sinnvoll, in der Praxis verheddere ich mich dann. Wenn mein Gegenüber das Schild an meinem imaginären Gartentor ignoriert, auf mein sinnbildliches Haus zusteuert und ich mich dann plötzlich vehement für meine Grenzen einsetzen muss, wird es für beide unangenehm. Offensichtlich darf ich noch Üben im Klarheit schaffen bezüglich meiner Grenzen.


Zu Hause überlege ich mir in Ruhe, was ich gerne in solchen Situationen sagen würde. Ich kenne Aussprüche wie «die Arbeit ruft» oder «ich sollte dann wieder…». Vielleicht stimmt das und vielleicht ist es eine Floskel. Am liebsten ist mir ein Satz, den ich in jeder Hinsicht genau so meinen kann. Wie geht es mir jeweils und was wünsche ich mir?
Ich fühle mich beengt, spüre Unsicherheit, verliere die Verbindung zu mir und somit auch zu meinem Gegenüber. Mein Körper spiegelt mir das mit Verspannungen in der Schulterpartie, einer oberflächlichen Atmung und Verstockung vom Bauch ausgehend. Ade Lebendigkeit! Also möchte ich wieder in den Fluss kommen, beziehungsweise zurück ins Leben gehen.


Heute traf ich niemand an auf meinem Weg am Morgen. Jede vernünftige Person mied das vereiste Tobel und auch ich wünschte mich ein paar Mal weg von da. Gefühlte 27 Mal bin ich den kleinen Tod gestorben – und damit meine ich nicht den französischen Orgasmus. Jedes Mal, wenn mein Fuss unter mir wegrutschte, versteinerte sich mein Körper, stockte mein Atem und manchmal gab es einen Stich im Rücken. Dies, obwohl ich mutiger und gelassener unterwegs bin als letzte Saison. Vermeidungsstrategie macht einer offenen Haltung Platz, die mit der Situation geht und gwundrig bleibt. Erwischt es mich, so gebe ich meinem Schrecken Raum sich zu entfalten. Manchmal entweicht ein Schrei oder ich fluche oder ich spreche meine Gedanken laut aus. Atmen und schütteln sind ebenfalls Heilmittel. Es sind Kontrollverluste, die mir Angst machen. Das Eis bietet ein Übungsfeld.
Der anspruchsvolle Spaziergang, liess mich fokussiert im gegenwärtigen Moment sein und liess dem Gedankenkreisen wenig Platz, was ich willkommen hiess. Nun vermisse ich die Zeit jedoch, die mein Verstand genutzt hätte, um mir das Schreiben dieser Zeilen geschmeidiger zu gestalten. Ich fühle mich gerade etwas abgelenkt…


Die Mittagspause hatte gerufen. Zu meinen guten Vorsätzen gehörte mehr Routine und somit Struktur. Nicht, dass ich dies schon erfolgreich einsetzte, deshalb erstaunte mich der Blick auf die Uhr, als ich mich so abgelenkt fühlte: Punkt 12 Uhr!
Beim Befriedigen einer meiner Grundbedürfnisse machte ich mir Gedanken über diesen Text und ich beschloss hier meine Freude über eine Zusage zu teilen. Am Vormittag antwortete der Gemeindepräsident von Wald im Namen des Gemeinderats auf mein Gesuch zur Bewilligung einer künstlerischen Inszenierung auf dem Schwertplatz. Am 2. Februar 2025 möchte ich mit einem speziellen «Public Viewing» dem Tod Raum schenken und an die eigene Sterblichkeit erinnern, um Werbung für das Leben zu machen.
Was macht das Leben aus? Wie fühle ich mich lebendig? Warum lebe ich?
Weil ich nicht um mein Überleben kämpfen muss, möchte ich mich mit Fragen beschäftigen, die Lebendigkeit in mir auslösen und mich mit mir und meinem Umfeld verbinden. Teile ich Ängste und Unsicherheiten, so fühle ich mich weniger allein mit meiner Last und schenke mit meinem Vertrauen Raum.
Leben ist für mich nicht nur tanzen unter der Sonne. Meine gegenwärtige Lektion ist das Finden von Ausgeglichenheit, beziehungsweise der nötigen Achtsamkeit, um meine Bedürfnisse wahrzunehmen. Macht der Fluss meines Lebens eine Kurve, so möchte ich möglichst geschmeidig mitfliessen. Gelingt mir das im Kleinen, werde ich bei grösseren Manövern meine Erfahrungen gebrauchen können.


Oh – hört ihr das?
Das Leben ruft.




24. Dezember 2024


Hundespaziergang.


Listo hat nicht viele Freunde. Einige Hunde sind ihm zu stürmisch, oft junge unkastrierte Rüden, die ihm zu viel Aufmerksamkeit schenken. Seit ich hörte, dass Männchen nach der Kastration manchmal wie eine läufige Hündin riechen, stelle ich mir vor, dass Listo bei ihnen deswegen besonders beliebt ist. Dafür wird er manchmal von zickigen Weibchen in die Schranken gewiesen, was ihn sehr selten stört. Das schüttelt er ab und vergessen ist es. In seiner Art das Leben so zu nehmen, wie es ist, finde ich ihn inspirierend.


Es ist gegen halb neun und wir tauchen in das tiefverschneite Tobel ein. Die schneebedeckten Äste der Bäume hängen manchmal in greifbare Nähe, die Flocken tanzen leicht und leise durch die Zwischenräume und auf dem Weg erkenne ich nur zwei verschwindende Schuhspuren im Pulverschnee. Der seit neun Tagen neunjährige Hund hüpft wie ein Welpe voran, während sich meine Schritte träge anfühlen. Nach der Kurve auf einer Anhöhe taucht ein Hund vor uns auf. Während Listo einer Spur am Wegrand nachschnuppert, begrüsse ich den jungen Rüden von weitem mit einem lauten «Ja guetä Morgä!». Es ist der Hund vom Haus beim Tobeleingang, der seine Runden oft alleine zieht. Weil die Hunde sich gut mögen, nenne ich ihn hier Buddy. Sie begrüssen sich freudig, während ich Buddy’s Geschäft miteinpacke. Mein Herz fühlt sich gross und warm an, wenn ich die beiden in der Selbstverständlichkeit zusammen die Welt zu erkunden, beobachte. Sie schnüffeln an denselben Düften, markieren die gleichen Stellen und trotten nebeneinanderher. Wenn einer von ihnen schon etwas weiter voraus ist, dann holt ihn der andere freudig hüpfend wieder ein. Diese unspektakuläre Harmonie beglückt mich tief. Ich fühl mich entspannt und entscheide bei der Brücke vor dem grösseren Aufstieg wieder kehrt zu machen und Buddy zurückzubegleiten, bevor er von sich aus entscheidet uns zu verlassen. Das gibt ihnen die Möglichkeit nochmal ausgelassen ihre Beziehung zu pflegen. Ich bleibe sogar entspannt, als uns ein Hundehalter mit Hund begegnet, wo ich mir sonst oft Gedanken mache und mir unangenehme Szenarien ausdenke. Beim Vorbeigehen reicht ein Gruss meinerseits und auch die Hunde lösen sich geschmeidig aus der Begegnung. Gegen Ende des Weges versuchen sie es noch mit Spiel und Dominanz. Buddy fordert auf, indem er seinen Kopf und Oberkörper nach unten zwischen seine Vorderläufe wirft. Listo versucht auf dem tänzelnden Hunderücken halt zu finden, um seine Überlegenheit zu demonstrieren. Als es ihm dann zu wild wird, zeigt er dies mit einem kräftigen Ton. Sie schütteln ihre Forschungsreise ab, so dass die Schneeflocken vom Fell stäuben und gehen wieder nebeneinanderher, als ob nichts geschehen wäre. Ich leine Listo an und wir nähern uns dem Haus am Eingang des Tobels. Bei der offenen Haustür schaut Buddy nochmals kurz zurück, um dann in seinem Zuhause zu verschwinden, als ich ihm ein «Tschüss» zurufe. Listo hat dies kaum registriert, so jedenfalls hat es auf mich gewirkt. Loslassen ist eine seiner Stärken, ich schmunzle in mich hinein.


So einfach kann es gehen. Ich fühle mich zufrieden und beschenkt. Wünsche ich mir doch oft mehr Unbekümmertheit im positiven Sinne. Ein ausgelassenes Beisammensein, wo ich bei mir bleiben kann, meine Bedürfnisse wahrnehme und sie kommuniziere. Beziehungen, wo ich und mein Gegenüber gleichermassen gesehen und unterstützt werden. Und wo auch das Weiterfliessen als ein natürlicher Wandel angenommen wird.



21. Dezember 2024


Sunneboge.


Ich trete näher an die verschneite Feuerstelle und lese auf dem Bänkli in den Schnee geschrieben: Sunneboge.


Im ersten Moment: Ah, wieso nicht? – Ein Wortspiel. Für den Regenbogen braucht es Regen und Sonne. Dann fängt es mich an zu nerven. Diese kitschige Optimierung, die Wertung, das Schönreden. Ich wollte den Spaziergang präsent und bewusst geniessen und mich möglichst wenig Gedanken hingeben, weil sich ein Ziehen im Kopf ankündigte. Nun studiere ich aber meinem Ärger hinterher und was sich darüber schreiben liesse.


Vor einer Woche schrieb ich über die Farben des Regenbogens und war voller Lebendigkeit. Gestern entdeckte ich im oberen Weiher eine grosse tote Regenbogenforelle und eine kleinere im Wasserkanal, die aber auch auf dem Rücken war, aber deren Kiemen sich noch bewegten. Ich kniete nieder und beobachtete sie, wie sich die Lappen seitlich ihres Unterkiefers öffneten und wieder schlossen. Es sah wie ein Sich-Ergeben aus und weniger als ein Kampf ums Leben. Vielleicht waren es noch ihre Muskeln, die die gewohnte Routine noch nicht aufgaben. Ich versuchte mich mit ihr zu verbinden, um ihr das Loslassen zu erleichtern oder mich zu beruhigen, aber meine Gedanken liessen keine Ruhe. War das Wasser verschmutzt, dass es beide Forellen nahm? Sind die Verfärbungen am Körper eine Krankheit? Was bedeutet die Symbolik der Forelle für mich, wenn sie tot beziehungsweise am Sterben ist?
Nach dem Spaziergang informierte ich den örtlichen Gewässerschutz und schaute in mein Buch über die Symbolsprache der Tiere. Das Loslassen als Thema krallt mich fest – habe ich es übertrieben? Meine Gedanken schwirren wild und ich werde im ersten Augenblick noch nicht schlau, was mir nun die paradoxe Aussage der Situation vermitteln will.


Als ich schon auf dem Rückweg durch den Wald bin, entscheide ich mich doch für den anderen Weg am Kanal vorbei. Der Mann vom Gewässerschutz hatte mir am Telefon gesagt, dass die Fische drin gelassen werden sollten. Da liegt sie nun vor mir mit milchigen Augen als Festmahl für vier Edelkrebse, die offensichtlich noch nicht im Winterschlaf sind und sich genüsslich über ihren Körper hermachen. Der Kreislauf des Lebens.


Um den Kreis auch für meinen Blogbeitrag zu schliessen, möchte ich dem Regen seinen Bogen lassen.



14. Dezember 2024


Farben des Regenbogens.


Ich biege in die Nebenstrasse, die zum Tobel führt und da liegt er vor mir: ein Regenbogen.
Seit ich selbst die Verantwortung für mein Leben in die Hand nehme, gönne ich mir Schleckwaren. Die Aversion von meinem Mami gegenüber diesem «gruusige Gummizeug», prägte mich bis vor wenigen Jahren. Eine kindliche Freude überkommt mich, als ich mich nach dem Regenbogen aus dem Traumlandsortiment von Katjes bücke. Aus einer Mischung von natürlich und frech, stopfe ich ihn mir, nach einer kleinen Überprüfung auf Schmutz, in den Mund. Er ist kühl und schmeckt wässriger, vermutlich verbrachte er die Nacht draussen.


Vorgestern nahm ich das zweite Mal am Erzählcafé teil, diesmal zu meiner eigenen Frage, die das letzte Mal ausgewählt wurde: Was macht ein gelungenes Leben aus?
Gelungener wäre allerdings gewesen: Was macht für dich ein gelungenes Leben aus? Das habe ich dann zum Schluss noch erwähnt, weil wir uns wiederholende Sätze der Klarstellung, dass dies einer individuellen Wahrnehmung bedarf, hätten sparen können. Dafür durfte ich aus meiner Komfortzone steigen und der über zwanzigköpfigen Versammlung berichten, dass ich nun die Runde pünktlich verlassen werde und die extra zehn Minuten nicht bleiben kann. Eingebracht habe ich mich mit meiner Freude an der farbigen Lebendigkeit des Lebens und machte das Beispiel von intensiven Farben des Regenbogens und dass ich alle integrieren und spüren möchte. Ich beobachtete, dass mich das Wort Zufriedenheit stört. Es fühlt sich an, als ob es mir auf meinem Ritt zwischen den Polaritäten im Weg steht.


Der Fluss fliesst an mir vorbei und ich spüre plötzlich eine Sehnsucht nach Ruhe. Gestern gestand mir mein Partner, dass er sich am Wort Lebendigkeit stört und ich war irritiert. Ist es doch zu einem meiner Lieblingsworten geworden. Das tiefe Violett und das knallige Zinnoberrot vibrieren durch mein Leben und meinen Körper – ich fühle mich lebendig. Nun stehe ich im Wald und sehne mich nach beruhigendem grün und frischem blau. Die Wasseramsel fliegt vorbei und flussabwärts wird sie von einer zweiten begleitet. Mir wird warm ums Herz und eine Erkenntnis schüttelt die Emotionen an die Oberfläche. Ich kann mich vertrauensvoll in den Fluss des Lebens werfen und dabei in Verbindung gehen mit dem, was gerade da ist. Der Spaziergang gestern mit meinem Partner war geprägt von dieser friedlichen Zweisamkeit, fällt es mir wie Schuppen von den Augen.


Anders vorgestern Abend, als ich nach dem gelungenen Nachmittag eine Kollegin traf und eine meiner ersten Fragen an sie überraschend provokativ wirkte: Was macht für dich ein gelungenes Leben aus? Sie wich aus, sagte etwas Verallgemeinerndes und wendete sich der zweiten Kollegin mit einer anderen Frage zu. Ich sass da, in meinem kurzen Schwarzen mit den giftgrünen Strumpfhosen und kam mir plötzlich sehr übertrieben vor.


Meine intensivste Freundin spiegelt mir meinen Hang zum Extremen, bis dahin, wo es die Grenzen des Aushaltbaren sprengt und wir auch schon weggeblasen wurden. Diese Intensität fühlt sich geil an (ich höre meinen Göttibub sagen: Das dörf mer nöd sägä!). Gleichzeitig überkommt mich das Bedürfnis nach Pause. Es fällt mir oft schwer mich vollständig zu entspannen, da ist dieses unbestimmte Gefühl von Kontrollverlust, welches irgendwo in meinem Innern schlummert.


Auf dem Rückweg von meinem Morgenspaziergang überquere ich eine Wiese, wo das saftige grün von Raureif gemildert wird und der Himmel durch die feinen Schleierwolken schimmert. Das innere Bild von mir zwischen einem leichten Himmelblau und dem sanften Moosgrün, welches ich mir immer wieder auf dieser Gedankenreise vorstellte, scheint sich zu manifestieren. Ein Bussard hebt sich aus den Tannen vor mir. Ich blicke ihm nach und freue mich auf das Schreiben dieser Zeilen…



2. Dezember 2024


Das Klassentreffen.


Bereits am 18. August wurde ich von der Initiantin des Klassentreffens in die WhatsApp Gruppe eingeladen. Mir blieben knapp dreieinhalb Monate zur Vorbereitung und die habe ich gebraucht und genutzt.


Es gab noch etwas Unausgesprochenes aus dieser Zeit. Dieses Etwas war für mich so bedeutsam, dass es mir die meisten anderen Erinnerungen an meine Sekundarschule löschte. Vor Jahren bin ich mal darauf gestossen, habe es ausgepackt, mir angesehen und dann wieder zur Seite gelegt. Konkret angesprochen hatte ich es nie, es war für mich nicht mal möglich darüber in mein Tagebuch zu schreiben. Vor wenigen Wochen erzählte ich es das erste Mal konkret meinen liebsten Menschen. Mit jeder Person wurde es mir leichter und das Etwas verlor seine erdrückende Wirkung nach und nach.


Während meiner Vorbereitung durchlebte ich verschiedene Phasen.
Anfangs war da so ein Unbehagen: «ui krass, was für eine Möglichkeit, mich den Schatten der Vergangenheit zu stellen.» Zwischendurch weckte das Klassenfoto Erinnerungen an meine Mitschüler und Mitschülerinnen, ihre Namen - und die Kleidung! Es entstand Vorfreude und Gwunder, auf ihre Geschichten, aber auch auf ihre Wahrnehmung von damals. Da gab es auch diesen seltsamen Moment, wo ich dachte, dass mich die anderen nicht interessieren. Ich habe mir verschiede Szenarien im Vorfeld ausgedacht, Antworten auf Fragen überlegt und mir mein Auftreten versucht vorzustellen.


Mit einer Mischung aus aufgeregter Vorfreude und einer ungewohnten Ruhe fuhr ich mit dem Auto in den Stau. Schon zu Hause roch mein ausgewählter Pullover nach Schweiss und meine Sturheit liess keine Alternative zu. Unterwegs beschloss ich, mir vorher bei meinem Mami etwas Frisches aus ihrem Kleiderschrank auszuleihen. Auch als ich vor Ort noch umherirrte auf der Suche nach dem Lokal, brachte mich das nicht aus der Ruhe.


Die ersten bekannten Gesichter, und meine Freude platzte aus mir heraus. Herzliche Umarmungen und aufrichtiges Interesse, lösten die letzten Unsicherheiten auf. Ich wurde erkannt, mein altes Ich wurde gesehen und geheilt. Während der Schulzeit hatte ich mich versteckt, wollte unsichtbar sein. So wurde ich von den Ehemaligen beschrieben: scheu und zurückhaltend. Meine unverblümte Offenheit überraschte deshalb nicht wenige. Ich fragte in die Runde wie die Schulzeit wahrgenommen wurde und die drei fanden sie hätten es recht angenehm erlebt. Am Schluss verkündete ich, dass ich gemobbt wurde. Drei verblüffte Gesichter. Ich stolz, dass ich es so emotionslos über die Lippen brachte. Die ganze Geschichte blieb während des Abends in meinem Kopf abrufbereit, falls sich eine Gelegenheit anerbieten würde und ich spürte gleichzeitig, dass es nicht mehr nötig war sie zu teilen, weil sie verarbeitet war.


Dann die Schlüsselszene nach unserem Essen am Tisch. Die Lehrerin entschuldigt sich bei einem Schüler für ihren Ausrutscher und eine Schülerin sagt der Lehrerin, dass ihr Verhalten von damals ihr leid tut. Was für heilende Momente!



29. November 2024


Synchronizität.


Mir gefällt es, wenn ich damit vom Universum überrascht werde. Mich verblüfft diese Kreativität, gespickt mit Humor.


Es ist zehn Uhr, ich sitze bei meinem Garagisten und warte bis mein Auto seine Winterpneus verpasst bekommt. Diesmal habe ich Listo zu Hause gelassen, weil es wie aus Eimern schüttet und wir am Morgen schon triefnass vom Spaziergang zurückkehrten. Dafür habe ich ein Heft mitgenommen, voll mit spannenden Interviews, welches schon eine Weile angesehen werden will. Meinen Fokus ist schon zu Beginn auf dem Beitrag von Marina Abramovic und so vertiefe ich mich während der Wartezeit in die Welt der Performancekünstlerin. Auf der achten Seite dann die Überraschung:
Ein Foto von ihr, auf einem Stuhl sitzend und in eine Strickarbeit vertieft, aber in einer ungewohnten Umgebung. Neben uneindeutiger Einrichtung, fällt mir plötzlich die knappe Reihe Autofelgen an der Wand auf. Der Text dazu erklärt:
Warten aufs Auto in einer Werkstatt in NY. «Am Anfang meiner Karriere habe ich jahrelang im Auto gelebt, um wirklich frei zu sein.»
Ich grinse, fühle mich verbunden und erlebe einen Moment der Leichtigkeit.



28. November 2024


Erleichterung.


Ich spaziere im Regen, es ist noch dunkel und neblig. In mir drin eine beglückende Zufriedenheit, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Gestern haben sich drei Termine aufgelöst – danke Universum! – und ich hatte Zeit mich wieder mal zu sortieren und auch mein äusseres Chaos aufzuräumen. Die Fülle des Lebens hinterlässt manchmal materielle Spuren. Der freie Raum bietet nun Platz für Reflexionen.


Wieso fürchten sich einige Menschen vor dem Tod?
Unwissenheit, Neues, radikale Veränderung, Ende – es gibt einige Gründe für eine Angst. Als Hauptgrund sehe ich verpasste Chancen, das Leben nicht nach den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen gestaltet zu haben, bevor die Zeit abgelaufen ist.


Mit meiner Fröhlichkeit im Herzen blicke ich zurück zu ihrem Ursprung.
Über sieben Monate kämpfte ich um mein Leben. Das tönt vielleicht etwas dramatischer als die genauere Erklärung. Am 22. Mai dieses Jahres fragte ich den Ausstellungsverantwortlichen des Heimatmuseums an, ob sie noch freie Kapazität im Jahr 2025 haben. Aus einer ersten positiven Reaktion kamen Unsicherheiten, dann eine Absage, ein neues Konzept, wieder Misstrauen und eine erneute Absage. Mir war klar, dass ich Leben möchte. Nur schon diese Doppeldeutigkeit vom Titel «Leben» meiner Ausstellung und der Offensichtlichkeit, wenn die Lebendigkeit von einem Besitz ergreift und du weisst: Es muss geschehen!


Vorgestern nun der definitive Entscheid: Ich darf vom 14. Februar bis 2. März 2025 meine Ausstellung «Leben – von Manuela Stauffacher» im Heimatmuseum zeigen!


Bin ich verärgert, dass es so lange gedauert hat? Nein.
Ich blicke auf Widerstand zurück, der mich neue Wege suchen liess und mein Konzept durfte an Vollständigkeit und Klarheit dazugewinnen. Ausserdem genoss ich den Augenblick, als ich mich und mein Konzept vor dem Komitee der Verantwortlichen vorstellen durfte. Sie sahen, dass ich für meine Ideen brenne und eine wichtige Botschaft habe und nicht einfach provozieren möchte.


Zu meiner Geschichte kamen mir Wortspiele in den Sinn.
Durch diese Schwierigkeit habe ich Leichtigkeit erfahren. Wird Jemand heraus-gefordert, schaut er über den eigenen Horizont hinaus.
Und nach der nasskalten Witterung geniesse ich die Wärme meiner flauschigen Kleider auf meiner Haut.



26. November 2024


Auf den Spuren der Wahrheit.


Ich fühle mich lebendig, wenn ich einer Wahrheit auf der Spur bin. Wer ist dieser Mann in Wald, der zu scheinbar jeder Tages- und beinahe auch Nachtzeit wie ein Tannenbaum am Strassenrand steht und Autos nachschaut? Wo habe ich meine geliebte Heftklammerschussmaschine bloss hingelegt? Was geschieht, wenn ich fliegen könnte ohne Hilfsmittel?
Eine Spur kann geheimnisvoll, ärgerlich, spannend und vieles mehr sein.
«Wer ist schuld?» ist immer noch sehr verbreitet – man nehme die unzähligen Kriminalfilme.

Die Schuld-Frage geht davon aus, dass das Resultat einer Situation schlecht ist und nach einer Wiedergutmachung verlangt.


In diesem Beitrag bin ich jedoch auf der Spur zu DER Wahrheit. Menschen sind natürlicherweise gwundrig und möchten wissen, auch wenn sie das als Erwachsene versuchen zu verstecken. So unterscheide ich zwischen kleinen Wahrheiten und DER Wahrheit.


Ich hatte mal an einer Ausstellung eine äusserst interessante Begegnung mit einem begnadeten Künstler. Der religiöse Aspekt seiner Arbeit bot ein interessantes Spannungsfeld zu meiner philosophischen Freigeistigkeit. Wir hatten verschiedene Ansichten über Wahrheit. Für ihn gibt es DIE Wahrheit und ich vertrat die Ansicht der individuellen Wahrheiten, was er als Meinungen oder Ansichten benannte.
Im Nachhinein erkenne ich, dass wir beide richtig gelegen haben: Wir hatten unsere Wahrheiten von der Wahrheit, beziehungsweise sprachen wir von zwei verschiedenen Wahrheiten. Ich meinte mit «jedem seine Wahrheit» all die Puzzleteile des Lebens und er meinte das zusammengesetzte Bild.


Jede Person hat verschiedene Wahrheiten, die stimmen. Manche bleiben eine Weile, andere ein Leben lang. Hättest du den Weg deines Gegenübers gemacht, mit all den Lernfeldern, Entscheidungen und Erfahrungen, dann wäre das womöglich auch deine Wahrheit.


Als Philosophin begegne ich auf der Suche nach DER Wahrheit, verschiedenen kleineren Wahrheiten. Mit meiner Lebendigkeit kann ich sie entdecken, mit meinem Bewusstsein setze ich sie zusammen und mit meiner Kreativität finde ich einen Umgang, diese Bilder der Welt zu zeigen.


Wer kennt DIE Wahrheit? Sind das nur Heilige oder Tote?



25. November 2024


1997


Es war ein Traum, jetzt bin ich wach.
Ich gehe zum Fenster, öffne es, lehne hinaus.
Ruhe herrscht.
In der Dunkelheit, die Bäume, die Blumen, ein Streifen Rasen.
Dazwischen die Häuser – wie Bauklötze,
die von einem kleinen Kind zurückgelassen wurden,
regungslos dunkel.
Es ist die frische Luft, die ich einatme,
der sanfte Wind, der mein Haar leicht verwehen lässt.
Dunkel schimmernde Wolken ziehen vorbei –
unaufhaltsam, bestimmt.
Wie ich mich umsehe, dämmert es schon.
Da! – Im Haus gegenüber, ein erstes Licht erwacht.
Die scheinbar kahlen Häuserblöcke
entfalten sich zu neuem Leben.
Es war nur das äussere, das sie so erscheinen liess,
doch wenn man öfters genauer hinschauen würde,
erkennte man auch die guten Dinge
hinter einer dunkel aussehenden Fassade.



24. November 2024


Mieses Leben oder miis Läbä?


Die Wechseljahre schnuppern in mein Leben und ich schnuppere gwundrig zurück.
Nach der ersten grossen Unsicherheit mit Gedächtnislücken, plötzlichem Gefühlschaos in riesigen Höhen und unendlichen Tiefen, kombiniert mit Hitzewallungen im Intervall. Völlig überfordert suchte ich die Manufaktur für Körper, Geist und Seele einer Freundin auf. Offensichtlich ein Tabuthema, wovon ich nun erst höre, als es mich betrifft – schöne Sauerei!
Ich, die Tabubrecherin, die gerne heikle, unangenehme und schwierige Themen anspricht, die lieber verschwiegen werden, erfahre am eigenen Leib, was es heisst, unvorbereitet zu sein.


Ich habe mich nun einigermassen in die Situation hineinentspannt, weil es dafür einen Namen gibt und ich nicht die einzig Betroffene bin. Die Phase der Forschung hat begonnen. Gebe ich Hitzewallungen in die Suchmaschine ein, erhalte ich eine Reihe von Ergänzungsmitteln zur Linderung der Symptome, eine Erklärung finde ich im ersten Verlauf keine. Klar bin ich bei starker Migräne - die fühlte sich plötzlich ungewohnt intensiv an – froh, wenn ich unmittelbare Hilfe bekomme, grundsätzlich spricht mich jedoch der Ursachenfindungsprozess mehr an.


Da ist auch seit längerem diese Lustlosigkeit, die ich mit einer Mischung von Geschmeidigkeit und Unbehagen beobachte. Ich fühle mich durch den fehlenden Sexualtrieb, der mich ziemlich genau dreissig Jahre intensiv begleitete, irritiert. Auf der einen Seite geniesse ich die freie Kapazität meines Gehirns, welche sonst mit sexuellen Fantasien vollgestopft war, andererseits sehe ich Schwierigkeiten in meiner Partnerschaft. Als Surrogat-Partnerin, die zusammen mit einer Sexualtherapeutin Klienten begleitet, gehe ich explizit Beziehungen ein, die Sexualität beinhalten. In meiner Rolle fühle ich mich entspannter und wenn Erregung angesagt ist, kenne ich Gesetze des Körpers, die ich gezielt dafür einsetzen kann. Für meinen Partner ist es jedoch neu, dass ich keine Initiative zeige und von mir aus schon länger nicht mehr sexuell auf ihn zugegangen bin.


Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, habe ich zusammengefasst einen viertel meines sexuell aktivierten Lebens bewusst als dieses wahrgenommen. In den letzten sechs Jahren ist damit eine allgemein intensive Lebendigkeit mit einhergegangen. Im Nachhinein mein früheres Leben mit «die verpassten Jahre», «die Momente in der Opferrolle» oder «ein verschlafenes Leben» zu betiteln wäre zu einfach und auch müssig.
Die Wechseljahre bringen neue Facetten in mein Leben, einen Wandel. «Radikale Hoffnung», ein Begriff, der mich umtreibt, möchte die Kraft der Gelassenheit bezeichnen. Nichtwertend in eine (er)lebbare Zukunft zu schauen.


Zwei Persönlichkeiten ziehen zurzeit die Aufmerksamkeit auf sich:
Marina Abramovic, die Performance-Künstlerin und Jolanda Spiess-Hegglin, die frische Buchautorin.
Mich fasziniert ihr beispielhafter Umgang mit einschneidenden gewalttätigen Erfahrungen. Sie haben als Opfer viel Leid erfahren und gleichzeitig diese Tatsache zum Lebensthema umgewandelt und ihr eine kraftvolle Komponente zugestanden. Sie sind beide ihrer Wahrheit auf den Grund, haben sich mit ihr auseinandergesetzt und sind sich treu geblieben. Dieser Weg zu gehen, braucht Mut, Durchhaltewille und Kraft. Sie haben von der Opferrolle in eine aktive Form gefunden, damit umzugehen und diese Zeit in die Gegenwart zu integrieren.
Es braucht Menschen, die vorangehen und eine persönliche Sicht des Lebens und der Welt zeigen, damit sich die Idee der Selbstermächtigung verbreitet. Gründe, um in eine Opferrolle zu geraten gibt es unzählige, in ihnen zu verweilen nur einen halbherzigen: Mitleid und Mitgefühl helfen über die Runden zu kommen.


Ich habe mit meiner Einstellung vieles erreicht und sehe mich als Forscherin, lebe nun radikaler meine gefühlte Energie, bevor sie nicht mehr da ist.



22. November 2024


Weder Fisch noch Vogel?


Ich fühle mich gerne als Fisch und Vogel und vieles dazwischen.
In die Tiefe tauchen und im Schatten forschen, und manchmal im Sumpf der Aufgaben untergehen und vor lauter Ereignissen die wahre Berufung aus den Augen verlieren. Die Höhenflüge auskosten und mit der intensiven Energie federleicht davonfliegen, bis eine Schwierigkeit den Fokus fordert und plötzlich wieder der Plan der Arbeiten ruft.
Die Energie fühlt sich dicht an, schwer und herausfordernd. Mit meinem Verstand kaum zu erfassen. Im Strudel der Geschehnisse Zeit für mich zu finden, beziehungsweise in der Fülle Freiraum für Leere einplanen, braucht meine Aufmerksamkeit. Nicht immer eilt mir das Universum zur Hilfe und lässt einen Termin platzen.
Heute überfällt mich wieder mal genug Raum für kreatives Schreiben und ich könnte gleich gefühlte sieben Beiträge verfassen…
Ich bleibe bei meinen geliebten Polaritäten und berichte von den Schatten des morgendlichen Höhenfluges während dem Spaziergang und den Lichtblicken auf der Reise in die Tiefen der Stadt.


Ein Spaziergang wie ein halbes Leben.
Ich habe das Handy zu Hause gelassen, damit ich mich intensiver einlassen kann. Listo und ich sind in der Dämmerung los, über aufgehäufte Schneemassen zwischen Gehsteig und Strasse gestiegen und in die zauberhaft verschneite Landschaft im Sagenraintobel eingetaucht. Ein bekannter Mann aus dem Dorf - er hatte gerade einen erfrischenden Tauchgang beim Wasserfall gemacht – liess sich auf einen kurzen, aber intensiven philosophischen Austausch ein. Erfrischt tauchte ich tiefer in die Unberührtheit der Natur. Schneeschwere Äste hingen über die Brücke und die jungen Bäume richteten sich dankbar wieder auf, als ich sie von der Belastung befreite. Meine schmutzig gewordenen Handschuhe rieb ich an einem sauberen Stamm mit Moos, dass mich das Tännchen mit einem kühlen Schneeschauer umhüllte. Listo hüpfte mit seinen vier Pfoten leichtfüssiger durch den Pulverschnee, als ich es vermochte. Auf der grossen Lichtung versetzte mich die Stimmung in meine frühe Kindheit. Das unschuldige, reine Weiss und der blau-rosa Himmel, der sich darin spiegelte – das waren im Kindergarten meine Lieblingsfarben! Ich hüpfte mit grossen Schritten den Hügel hinunter und als mein schwarzer Hund mit den grossen weissen Klumpen an den Beinen hinterherrannte, berührte mich dieser Anblick tief. Ich hielt inne, um den intensiven Augenblick auszukosten. Im Weitergehen erinnerte mich ein verschneiter Baum an eine vergangene Reise in meine Tiefen und Höhen. Als ich in der kürzesten Nacht eines Jahres in einem Schlafsack im Schnee unter einer Tanne an meine körperlichen und emotionalen Grenzen kam. Ein Kolkrabe erinnerte mich hingegen mit seinen Rufen an die wundervolle Begleiterin in diesen Stunden, die mich bis heute mit ihrem Wesen inspiriert.


Knapp zwei Stunden später sitze ich im Bus Richtung Zahnarzt, weil ich es noch nicht geschafft habe die Winterpneus montieren zu lassen. Ich schotte mich vom Umfeld ab, indem ich an meinem Blog schreibe und finde das ganz in Ordnung, merke sogar, dass ich trotzdem aufmerksam sein kann. Es liegt eine aussergewöhnliche Stimmung in der Luft, weil der gefühlte halbe Meter Schnee, den es über Nacht aus den Wolken geleert hatte, eine gewisse Flexibilität erfordert. Geschmeidig wie ich mich oft in Ausnahmefällen wahrnehme, fühle ich mich mehr verbunden, da für mich die Busfahrt schon aussergewöhnlich genug ist. In der Stadt hat es nicht weniger Schnee und seine Präsenz bringt Ruhe und weckt die Aufmerksamkeit zugleich. Ich fühle mich leicht und beschwingt, scheine zur Praxis zu fliegen. Der Empfang schon grossartig: Grüezi Frau Stauffacher! Wache junge Augen strahlen mich an und ich lasse meinen Komplimenten für dieses herzliche Willkommen freien Lauf. Auf meine vorsichtige Frage zum Aufladen meines Handys, sichert sie mir mit ihrer Tat zugleich mein E-Ticket für die Rückfahrt. Durch meinen Wunsch bei der Terminfindung, werde ich vom leitenden Zahnarzt herzlich empfangen. Er bedankt sich für meine kreative Karte, wo ich einen Frauenakt im Röntgenbild sah, und diese Vorstellung realisierte. Daraufhin schrieb er mir handschriftlich ein Dankesbrief, der mich tief berührte. Ich erwähnte auch seine aufmerksame Geste. Während der Arbeit von ihm und seiner Assistentin, welche mich schon empfangen hatte, beobachtete ich ein aussergewöhnliches Zusammenspiel der Handgriffe. Zwei strahlende Augenpaare richteten ihre Aufmerksamkeit auf meinen aufgesperrten Mund, während ich am liebsten die ganze Zeit in diese Schönheiten geguckt hätte. Mein Verstand liess mich nicht recht in Ruhe mit Fragen wie:
Warum gehört sich das nicht? Was wäre, wenn ich es einfach machen würde? Wie kommt das an? Was würde ihnen damit durch den Kopf gehen? Machen das manche Patienten? Soll ich meine Gedanken teilen, wenn ich den Mund wieder bewegen kann?
Danach strahle ich nur aus meiner Wäsche und sage nichts davon. Sie begleiten mich beide zu meiner Jacke, helfen mir aufmerksam hinein und stehen nebeneinander vor mir. Ich bedanke mich herzlich für ihre wertvolle Arbeit mit den aufmerksamen Extras und reiche die Hand. Bei der jungen Frau schaue ich genau auf das Namenschild und entdecke denselben Nachnamen – seine Tochter! Ja klar! Dieselben strahlenden Augen und dieselben niedlichen Grübchen in den Wangen, die noch tiefer wurden, als ich sie erwähne.
«Lebensfreude für ihre Zähne» lautet ihr Motto. Lebensfreude empfinde ich, bei so viel Hingabe und Freude an dieser wahrlich gefundenen Berufung.


16. November 2024


Die Wasseramsel.


Sie zählt wegen ihrer Vielfältigkeit zu meinen Lieblingstieren.
Heute Morgen bin ich ihr auf dem Spaziergang begegnet und sie zeigte mir ihr ganzes Repertoire: Sie flog auf einen Stein, hüpfte auf und ab, dann tauchte sie in den Fluss und verschwand, um danach friedlich auf einem Strudel zu schweben. Was für eine Energie und Vielfalt, ich bin jedes Mal berührt, wie sie mit ihrer Geschicklichkeit die Schwierigkeiten des Lebens meistert – ein wahres Vorbild!
Hüpfen ist übrigens mit dem Wort hoffen verwandt.



9. November 2024


Ein Zu-Fall ist kein Zufall, sonst wäre es doch Abfall.


Was für ein widersprüchliches Wort.


Auf dem Spaziergang fällt ein einzelnes Blatt vom Baum und mir zu.
Es geschehen stetig Ereignisse und einige nehme ich bewusst wahr und kann sie zu einem grossen Ganzen zusammensetzen. Die Puzzleteile fallen mir zu und bilden so mein Schicksal, wenn ich sie integriere.


Ist es nun widersprüchlich, wenn ich behaupte, dass mein geschmeidiger Umgang mit Zufall mein Schicksal bestimmt?


Ich bin dann doch gwundrig auf andere Ansichten geworden und traf im Internet auf Jung, der Synchronizitätsereignisse mit Zufallsereignissen verglich, die beide paranormale Ideen zu bestätigen scheinen.
Wie passend! Oft habe ich von Synchronizität gesprochen, wenn sich ein Thema in verschiedenen Situationen zeigt und innerhalb einer gewissen Zeitspanne vermehrt auf sich aufmerksam macht. Obwohl ich diesem Phänomen gerne mehr Bedeutung zugeordnet hätte, fiel es mir meist schwer, wirklich sinnvolle Rückschlüsse daraus zu ziehen.


Es liegt in meiner Natur, dass ich mit beinahe allem, was mir über den Weg «läuft» etwas anzufangen weiss, beziehungsweise überzeugt bin, dass es auf irgendeine Weise nützlich für mich ist. Sonst würde es mir kaum zu fallen. Auf diese Weise habe ich mir schon oft den Kopf heiss gedacht.


Wahrscheinlich möchte ich einfach nicht an Zufall glauben…



8. November 2024


«Leben» im Heimatmuseum


Mein Name ist Manuela Stauffacher und ich lebe seit 6 Jahren in Wald ZH.
Die aussergewöhnliche Energie dieser Gemeinde hat mich magisch angezogen. Es ist dieser Mix aus verschiedenen Kulturen, sozialen Schichten und den vielen Polaritäten. SP trifft SVP, FCZ trifft GC, Velo trifft Offroader, Gärtner trifft Banker, Einzelperson trifft Grossfamilie und Künstlerin trifft Tod.


Hier habe ich ein neues Leben begonnen – mein Leben. Dazu habe ich für meinen neuen Namen ein paar Monate gekämpft, damit ich mit Stauffacher eine neue Ära einleiten kann.
Meine erste eigene Wohnung zählte zu den Höhepunkten. Ich liebe es mit meinem Hund die eigenen vier Wände zu teilen. Inzwischen nutze ich sie nicht nur auch für Büro und kreative Arbeiten, sondern mache sie mit meinem Probe-Abschied von Zeit zu Zeit öffentlich als Ausstellung zum Thema Loslassen.


Ich bin Mutter von vielen Ideen und ab und zu muss ich mich schweren Herzens von einem Kind verabschieden.
Einige von Wald bekommen meine Vorfreude zu spüren, wenn wieder eine Idee geboren wurde. Viele freuen sich mit mir und manche würden es auch ertragen, wenn ich weniger gebärfreudig wäre. Oft sind meine Vorstellungen unkonventionell lebendig und wenig angepasst.


Tod und Leben sind zwei Pole, die mich zurzeit am meisten faszinieren.
Dabei ist mir das Bewusstsein am wichtigsten. Seit ich der Realität des Todes mehr Beachtung schenke, scheint mein Leben an Intensität dazuzugewinnen.


Nun plane ich neben meinen Probe-Abschieden eine interdisziplinäre Ausstellung zum Thema Leben. Der Tod ruft nun als Ausgleich das Leben auf.
Es soll eine Rückschau durch mein kreatives Schaffen werden, eine gegenwärtige interaktive Kunstform enthalten und auf ein zukünftiges Leben aufmerksam machen.


«Leben» von Manuela Stauffacher.
Willkommen (Vernissage) mit Installationen und Ausstattung zum Thema Geburt und ein Goodbye (Finissage) mit Aktionen zum Thema Tod und Sterben.
Dazwischen die bunte Welt von Manuela.


Heimat ist da, wo ich mich durch Verschiedenes verbunden fühle und das, was ich mein Zuhause nenne. Heimat ist für mich Wald ZH.
Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen den Welten und dafür brauche ich eine öffentliche, neutrale Plattform.
Meine Ausstellung «Leben» passt deshalb ins Heimatmuseum Wald ZH.


7. November 2024


Ich bin der Tod.
Immer bei dir – irgendwo in deinem Bewusstsein. Manchmal mehr und manchmal weniger präsent. Du weisst, dass ich auf dich warte.
Vielleicht hast du mich wahrgenommen, als ich ein Tier oder ein Mensch aus deinem Umfeld abholte. Es ist eine Frage der Zeit, bis auch du dran bist.
Am Ende deines Lebens lasse ich deinen Geist erblühen und dein Körper welken.
Also lebe, solange du kannst.



27. September 2024


Gemeinsamkeiten und Unterschiede von meinem Probe-Abschied und einem Escape-Room.


Wie beim Escape-Room handelt es sich beim Probe-Abschied um einen künstlerisch inszenierten Erfahrungs- und Erlebnisraum, wo du anhand von Hinweisen dich orientierst und durch physisches Ausprobieren entdecken kannst.


Das Ziel ist jedoch das Gegenteil. Während der eine Raum schon die Idee des Entkommens als englischen Namen trägt, bietet der andere Raum die Gelegenheit in die Tiefe zu tauchen und zu sich selbst zu kommen. Ausserdem ist bisher noch niemand dem Tod entkommen…


Interessant wird es beim Faktor Zeit.
In einem Escape-Room spielst du gegen sie – bist du zu langsam, hast du verloren.
Während optimal 4 Stunden und 4 Minuten – so die Dauer eines Probe-Abschieds – hast du Zeit, dir Zeit zu nehmen, um über deine verbleibende Zeit nachzudenken, was wir uns von Zeit zu Zeit erlauben sollten. Wer weiss schon, wie lange wir leben?



5. Juli 2024


Umgang mit Minderheiten.


Das Thema Grenzen beschäftigt mich noch immer. Seien es eigene Grenzen, die Grenzen von Anderen oder Ausgrenzung.


Aus Angst vor Ausgrenzung habe ich mich lange Zeit angepasst. Erlebnisse in der Kindheit, im Jugendalter und als Erwachsene, liessen mich spüren, wie es sich anfühlt als Einzelperson diskriminiert zu werden. Mein wahres Wesen war offensichtlich unzumutbar. Passend die Sprüche aus der Gesellschaft: Gib dir Mühe. Reiss dich zusammen. Hast du dich nicht im Griff?


Mich haben schon immer Menschen interessiert, die ihr wahres Ich zeigen und sich zumuten, ich fühle mich regelrecht von ihnen angezogen. Wo früher eine Sehnsucht dahinter steckte, ist es heute meine Verbundenheit mit Individuen, die sich offen zeigen. Ich bin berührt von dieser Entwicklung und dankbar.


Trotz allem vermeintlichem Frieden mit dieser Thematik, ertappte ich mich kürzlich in Aufregung. Angriff auf Minderheiten, lassen mich reflexartig in die Presche springen. Im Gespräch über sie verteidige ich sofort ihre Stimme und auch in Handlungen bin ich zur Stelle und stehe für sie ein. Ich mag diese Eigenschaft an mir. Da ist aber auch eine Wut auf die «Täter», ein Unverständnis, das mich ohnmächtig zurücklässt.


Ich bin dem nach, um den Ursprung dieser Energie zu ergründen.
In aller Individualität bleibt das Grundbedürfnis des Dazugehörens, das ist natürlich. Die Definition und das eigene Empfinden sind variabel. Das reicht von der situativen Gruppendynamik bis zur globalen Definition von Erdenbewohnern – ja sogar Wesen des Universums. Wenn ich also von einer Menschengruppe ausgegrenzt werde, bezieht sich das auf die momentane Situation, dabei bleibe ich ein Wesen des Universums. Dann stellt sich die Frage, ob ich mich eingrenzen möchte, um zu einer bestimmten Gruppe zu gehören. Ich bin mir sicher, dass ein Grossteil davon sich aus Angst vor Ausgrenzung dazugesellt. Das ist in meinen Augen doppelt anstrengend.  Unter dem Deckmantel der Angepasstheit schlummert die Unsicherheit weiter. Diese äussert sich dann lieber in auffälliger Diskriminierung, um die Tarnung zu verstärken. Schlussendlich macht sie das zu den eigentlichen Opfern.


Ich bin froh, diesen Schritt in die individuelle Freiheit gemacht zu haben und in diesem Feld weiter forschen zu dürfen – komm doch auch!



25. Juni 2024


Lebendigkeit durch Widerstand.


Gestern ist mir wieder mal beim Spazieren meinen Blog in den Sinn gekommen und wieso ich eine Schreibblockade hatte.
An einem Fest bin ich jemandem begegnet, der mir sagte, dass er meinen Blog lese und ich unbedingt weiter machen soll. Zack – Blockade.

Ich kenne das schon aus anderen Situationen, wo ich ermutigt, motiviert oder gebeten wurde etwas zu tun. Weil ich es als Druck oder gar Zwang wahrnahm, spürte ich Widerstand und Unlust.

Ganz im Gegensatz dazu das Verbotene, enge Regeln und Einschränkungen. Da wird meine Lebendigkeit geweckt und meine Fantasie blüht auf. Mein Verstand sucht sofort nach Grauzonen. Was ist noch möglich, wo gibt es Wege und Optionen? Plötzlich bin ich wach und präsent.

Ich halte am grossen Weiher im Wald inne und betrachte das klare Wasser. Eine ungewöhnliche Feder zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie treibt gerade so weit draussen auf der Wasseroberfläche, dass ich ein Stück schwimmen müsste. In meinem Verstand sogleich zwei Szenarien: Ich entkleide mich und schwimme nackt hinaus oder ich wünsche mir sie herbei. Die erste Option ist irgendwie provokativ und vor allem proaktiv. Letzteres wäre so widerstandslos, jedoch eine tolle Bestätigung für meine Fähigkeit zu wünschen.

Unentschlossen warte ich ab und werde ruhig. Plötzlich weht Wind herüber und treibt die Feder in meine Richtung. Ich schmunzle. Dann droht sie jedoch unter den tiefhängenden Büschen zu meiner linken zu verschwinden. Rasch sind Schuhe, Socken und Hose ausgezogen und ich wate im matschigen Weiherboden hinterher. Ich erwische sie, bevor es unangenehm wird. Beschenkt mit einer speziellen Feder und frischer Lebendigkeit, steige ich ans Ufer.


Was ist in dir gerade lebendig?


18. März 2024


Göttin meiner Welt.


Achtsame Räume sind für mich Wellnessurlaube.
Gestern endete das Format Liebeszeit und Sinnlichkeit, wo sich auch die Teilnehmenden mit eigenen Workshops einbringen dürfen.

Obwohl ich einen anspruchsvollen Workshop im Gepäck habe, bereiten mir die viereinhalb Stunden reine Autofahrt ein flaueres Gefühl im Magen. Zu meiner Entlastung, motiviere ich ein bekanntes Pärchen aus meiner Nähe, sich auf die Reise einzulassen.

Ich fühle mich sofort zu Hause angekommen, weil ich den Ort kenne, mir die Menschen aus dem Organisationsteam bekannt sind und auch einige Gesichter aus ähnlichen Formaten wieder auftauchen. Meine Gefährten finden sich in ihrem Tempo im Neuland zurecht, was mich erleichtert davonschweben lässt.

Mit meiner frisch-ehrlich und offen-gwundrigen Art spüre ich, wo Verbindung entsteht und ich mich einlassen möchte. Damit es mir nicht zu langweilig wird, bietet sich rasch ein Lernfeld an, wo ich an meinem Thema mit Grenzen arbeiten darf. Weil die Grundregel in solchen Räumen das Bewahren eigener und anderer Grenzen ist, fühle ich mich unterstützt. Orte, wo vieles sein darf, ziehen verschiedene Menschen an. Als freiheitsliebendes Wesen fühle ich mich durch besonders bedürftige und anhängliche Individuen rasch eingeengt.

In einer Pause fixiert mich ein Solches mit seinem Blick, umhüllt mich mit Worten, die kaum Platz für Interventionen bieten und vereinnahmt mich mit seiner Energie. Da spüre ich es wieder mal – diese feine Ahnung, mein Gegenüber könnte sich gerade in mir täuschen, falsche Annahmen machen. Obwohl ich das ungute Gefühl trage, wische ich den Mikrohinweis beiseite und gefalle ihm mit meinem Einlassen auf sein aufgegriffenes Thema. In mir ist auch der Anteil, der mir anerkennend auf die Schulter klopft und meine Fähigkeit, mich mit den unterschiedlichsten Menschen verbinden zu können, lobt.

Der nächste Workshop beginnt und die Leiterin simuliert mit einer Versuchsperson den groben Ablauf der Übung. Der optionale Körperkontakt mit einer Hand, dafür viel Vertrauen und Offenheit braucht es dazu. Ich fühle Unbehagen, weil ich realisiere, dass ich mit meiner unreflektierten Anpassung in der Pause, eine Erwartungshaltung ausgelöst habe. Instinktiv habe ich mich schon bei der Einführung ein wenig entfernt positioniert, doch ich spüre die bedürftige Energie in meinem Feld. Als es zur Partnerfindung kommt entsteht der Wunsch mit einer Frau in die Übung zu gehen. Aus Mangel sehe ich mich rasch anderweitig um und blicke erleichtert in die warmen Augen eines Mannes. Ja, er ist es. Ich spüre eine Last abfallen und doch bleibt das ungute Gefühl, jemand anderen zu enttäuschen. Um dieses Gefühl zu verdeutlichen, bleiben ein paar wenige ohne Partner – unter anderem mein Pausen-Gegenüber. Vor der Gruppe zeigt er auf mich und sagt, dass es abgemacht war mit mir zusammen zu sein und er das nicht versteht. Wie unangenehm denke ich, und entgegne, dass es für mich nur eine Unterhaltung war. Eine Frau bietet sich an, doch er verlässt beleidigt den Raum. Als wir uns für die Zweierübung einrichten, steht er plötzlich wieder vor mir und fragt mich, was das sollte. Wir sprechen nach dem Workshop, sage ich bestimmt und erwarte, dass er den Raum wieder verlässt. Zu meinem Unbehagen richtet er sich jedoch eine Matte in Hördistanz ein. Ich wäge ab, wie ich damit wiederum umgehen möchte. Mein Herz klopft aufgeregt, ich nehme einen tiefen Atemzug und schüttle das kurz ab. Meinem Gegenüber teile ich mit, wie ich fühle und wie schwierig die Situation für mich gerade auszuhalten ist. Ich werde mich auf mich und die Verbindung mit ihm konzentrieren und die Umgebung möglichst ausblenden. Seine ruhige Präsenz und die Tiefe der Übung, lassen mich wieder in den Fluss tauchen.

Das anschliessende Gespräch ist herausfordernd und sogleich erleichternd, weil ich um eine Erkenntnis reicher bin. Ich möchte gefallen – aber um welchen Preis? Dieser Preis war entschieden zu hoch für alle Beteiligten. Es bringt nichts, wenn ich anschliessend enttäuschen muss, nur weil ich im Vornherein mein Gegenüber in eine Täuschung tapsen lasse.

Vielleicht war dieser Prozess gerade für meinen anstehenden Workshop «Mich zeigen – Vielfalt erleben» wichtig. Tiefe, schwere Themen wollen sich zeigen und mir hilft es, die Resonanz in mir wahrzunehmen und direkt zu spiegeln. Die Erfahrung aus verschiedenen Räumen und Bereichen in meinem Leben, helfen mir bei der Improvisation. Gleichgesinnte Menschen unterstützen mich im Halten des Raums in meinem Neuland. Die Gruppe ist gross und das Thema herausfordernd. Ich bin berührt von der positiven Resonanz und der grossen Vielfalt.

Gestärkt und zufrieden gebe ich mich der neuen Energie hin und freudig melde ich mich für eine Darbietung auf der Abendbühne. Gleichzeitig spüre ich das Bedürfnis nach Rückzug und Regeneration. Mir hilft das Alleinsein, um mich auszugleichen. Im nahegelegenen Wald finde ich Ruhe – äussere und innere. Neu entdecke ich die Fähigkeit des entspannten Beieinanderliegens mit einer Vertrauensperson.

Das Forum gegen Ende versetzt mich in eine Beobachterrolle meines Lebenslaufs. Die Idee ist, in die Mitte des Kreises zu treten und das zu teilen, was in dir gerade lebendig ist. Ich warte, bis ich selbst einen Impuls wahrnehme und trete ein. Da weint es los. Schluchzend erkläre ich, dass dieser Einstieg nicht die Absicht war und fahre fort von meiner Geschichte zu erzählen. Wie ich mich als Aussenseiterin gefragt habe, wo ich zu Hause bin und vor fünfeinhalb Jahren meine Welt in achtsamen Räumen (ich streue hier doch mal das vorbelastete Wort «Tantra» rein), gefunden habe. Weil ich zwischen diesen sicheren Inseln der Zugehörigkeit manchmal fast zu ertrinken drohte, baute ich mir nach und nach eigene Inseln und lernte zu schwimmen. Mir gefällt das Sinnbild, denn es passt zu meiner Vorstellung vom Fluss des Lebens.
So begegnete ich am verlängerten Wochenende meinem aufgebauten Leben, nur dass es serviert wird und ich nicht selbst zu kochen brauche – Wellness pur!


Ein herzliches Dankeschön an alle wundervollen Menschen, die diese Räume der Achtsamkeit ins Leben tragen!